Twenty-Eight Moments 'till Spring (2013)

Twenty-Eight Moments 'till Spring (2013)

Konzept-Suite für Jazz-Sextett

 

Die Motivation, diese Jazz-Suite zu schreiben rührte daher, dass ich mit meinem guten Freund und Studienkollegen Konstantin Kräutler ein kompromissloses Sextett gründen wollte. Wir wollten den Pianisten Georg Vogel, der zu dieser Zeit uns ein verehrtes Vorbild war, den Saxophonisten Leonhard Skorupa, den Vorarlberger Trompeter Andreas Kalb und Bassvirtuosen Raphael Preuschl mit uns in einem eloquenten Sextett vereinen. Der Lockvogel sollte ein anspruchsvolles Konzertprogramm und ein Konzerttermin sein. Ich hatte also zweieinhalb Monate Zeit, ein einstündiges Programm zu schreiben. Um nicht planlos ins Blaue zu komponieren, legte ich mir eine Richtlinie fest, die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Programm ziehen sollte:

Das gesamte Werk bezieht sich auf das Tempo 16tel = 455bpm bei einer Taktlänge äquivalent zu achtundzwanzig Sechzehntel pro Takt.

So wurde aus dem Arbeitstitel „Moments Until Spring“ der Name „Twenty-Eight Moments 'till Spring“. Der Titel hat nun genauso viele Buchstaben, wie es 16tel in einem bzw. jedem Takt gibt: Achtundzwanzig.

Das dezimierte meine rhythmischen Möglichkeiten drastisch. Zu dieser Zeit neigte ich zu einem beinahe bedenklichen Drang, ständig die Taktart zu wechseln. Diese Maßname zwang mich, außerhalb meiner gängigen Schemen zu denken.

Liebeskummer plagte mein Herz. Komponieren war ein Zustand der Verarbeitung und Ablenkung. Die fünf Sätze der Suite beschreiben die Geschichte meiner gescheiterten Romanze:

  • Anticipation

  • Goldmund (Portrait in vier Farben)

  • Exploration

  • Indignation

  • Until We Finally Part

In der Endfassung tauschten Exploration und Indignation aus dramaturgischen Gründen die Plätze. Zwischen den Sätzen sollte jeder Musiker einen Solo-Spot bekommen, in dem er auf intime Weise die Geschichte erzählt. Da Raphael Preuschl als einziger nicht für die Band zu gewinnen war, blieb das Bass-Solo aus. Das Sextett Hexatonal war geboren!


https://soundcloud.com/hexatonal


Anticipation

Anticipation entstand aus einer stillen Ungeduld, die eine starke Spannung mit sich brachte, welche gelegentlich zum Ausdruck kam und dann wieder abflaute. Das Stück ist in vier Teile geteilt: die brodelnde Ungeduld (A), die dröhnende Ablenkung (B), das verliebte Zurückerinnern (C) und die Reprise der Ungeduld.

In Anticipation werden die 28 16tel in

7+7+7+7 / 16, was als septolisch phrasierter 4/4 Takt zu interpretieren ist,

7+7+5+5+4 / 16,

5+5+5+5+8 / 16, was als quintolisch phrasierter 4/4 Takt, an den zwei um eine Quintole verkürzte Viertelnoten angehängt werden, zu interpretieren ist, und 7/4 gegliedert.

Die harmonische Grundlage für den ersten Teil des Stückes (und seiner Reprise) bietet eine Zwölftonreihe, welche sowohl vertikal, als auch melodisch angewandt wird. Die vertikale Anwendung geschieht in Form der Gliederung der Reihe in drei Vierklänge: Bb Major 7 #5,

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G7 b5 und E Major 7 #5. Die Reihe erklingt im ersten Teil der Melodie in drei Takten welche wiederholt werden. Danach erscheint sie in komprimierter Form in zwei Takten in welchen die Reihe anders rhythmisiert und mit anderen Bassnoten unterlegt ist.

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Die Saxophon-Melodie und die Trompeten-Melodie, welche darüber klingen, basieren auf einer Skala, nicht auf einer Tonreihe. Die Akkorde des Gitarrensolos sind aus dem Spiegel der Reihe abgeleitet, welcher ebenfalls in drei Vierklänge geteilt ist: A Moll Major 7, G7 b5 und Eb Major 7. Den dramaturgischen Verlauf des ersten Teils (Intro bis A3) kann man mit Wellen vergleichen, welche immer höher werden, immer weiter aufschaukeln, bis zum Höhepunkt.

Der zweite Teil des Stücks, jener, welcher die dröhnende Ablenkung vertonen soll, ist größtenteils mit einem eintaktigen Riff unterlegt, das einen 6/4 Takt andeutet, dessen letzte zwei Viertel etwas zu kurz ausfallen: 5+5+5+5+4+4 / 16. Die laute, rockige Attitüde dieses Teils, soll einen starken Kontrast zu den köchelnden A-Teilen und dem folgendem, ruhigen C-Teil bieten.

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Der dritte Teil des Stücks ist sein Ruhepol. Die Akkorde des Teils leiten sich aus einer Zwölftonreihe ab, welche ursprünglich im darauffolgenden Stück verwendet wurde, jedoch in der Endversion nicht mehr zu hören ist. Die ersten drei Vierklänge ( F Maj7, G Maj7 und A#m7 add11) leiten sich aus der Grundform der Reihe ab, die nächsten drei (F# Maj7, E Maj7 und C6 sus2) aus ihrem Spiegelkrebs.

Ein ruhiger 7/4-Takt (4+3/4), über den sich flächige Klänge ausbreiten. Er beginnt ganz leise und baut sich im Laufe der beiden Soli bis zum Fortissimo auf. An seinem Höhepunkt wird der 7/4-Rhythmus wieder zu 7+7+7+7 / 16 umgedeutet und das starke, zweitaktige Motiv des ersten Teils erklingt mit einem Kick, der vom Zuhörer leicht als Schluss des Stücks gedeutet werden kann.

Zu guter letzt erklingt eine anfangs kammermusikalisch anmutende Reprise des ersten Teils, welche schlussendlich, wie jeder Teil des Stücks, mit einem fantastischen Fortissimo endet.

Goldmund

Der Name Goldmund nimmt Bezug auf einen Roman von Hermann Hesse: Narziss und Goldmund. Die Idee war es, ein Porträt in vier Farben zu komponieren. Der Charakter Goldmund, welcher zufälligerweise sogar im Namen dem Porträtierten ähnelt, schien mir ein treffender Vergleich.

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Die vier Farben beschreiben vier Skalen: Ionisch, Lydisch, Aeolisch und Lydisch add b9. In den ersten acht Takten wechseln sich Ionisch und Lydisch ab, in den nächsten vier Takten wird die Klangfarbe Lydisch add9 in den Mittelpunkt gestellt und gegen Ende bricht die bisher in Dur gehaltene Struktur mit einem aeolischen Mollakkord auf. Die Herleitung der Skala Lydisch add b9 lautet wie folgt: Schichtet man sieben Quinten übereinander, erhält man folgende Skala: Grundton, reine Quint, große Sekund, große Sext, große Terz, große Septim, übermäßige Quart und kleine None. Im zehnten und elften Takt ist der Anfang der Melodie: große Septim, kleine None und große Sekund der Skala. Da die kleine None im Quintverhältnis zur übermäßigen Quart steht und sowohl die Lage der Töne im Verhältnis zum Grundton hoch, als auch die melodische Schlüssigkeit der Phrase überzeugend ist, empfindet der Hörer die Melodie nicht als dissonant. Die Bewegung und ihr Effekt ähneln einer „große Terz, übermäßige Quart auf die reine Quint“-Bewegung, welche eine Quint tiefer verläuft. Generell ist die Komposition sehr gitarristisch angelegt. Im Anfangsmotiv tauschen Zeigefinger und Mittelfinger des Spielers die Plätze in einer melodischen Gegenbewegung: die Oktave wird durch einen Ganzton in entgegengesetzte Richtungen verlassen. Dies hatte für mich eine so starke metaphorische Bedeutung, dass ich an diesem einfachen Motiv starken Gefallen fand.

Am Anfang erklingt das Thema in einem Solo-Gitarren Arrangement mit ein- und zweitaktigen 7/4-Phrasen. Mit dem Einsatz des Schlagzeugs werden diese umgedeutet, da das Schlagzeug und der Kontrabass synkopierte Patterns (5+5+4 und 6+6+2 Achteln) zu spielen beginnen. 1 goldmund 28 Moments till spring partiturpng

Das gesamte Gitarren Solo ist in 5+5+4 / 8 und 6+6+2 / 8 notiert. Der Grund dafür ist, dass diese Achtel Gruppen von Schlagzeug und Bass n-tolisch aufgefüllt werden können. Sie sind sozusagen als lange und kurze Gruppen mit einer konkreten Länge zu verstehen, jedoch nicht mit einer spezifischen Subdivision. Zum Beispiel könnte 5+5+4 / 8 wie ein mit Sechzehntelnoten aufgefüllter Dreivierteltakt interpretiert werden, dessen letzte Viertel etwas kürzer ausfällt: (4:5)+(4:5)+4. Das auskomponierte Gitarren-Solo ist rhythmisch sehr konkret im binären und ternären Raster gehalten. Bis zum Ende des Gitarrensolos ist das Stück vor allem ein Gitarren-Feature, in dem die Blasinstrumente eher eine untermalende Rolle spielen, also kaum in den Vordergrund rücken.

Im letzten Teil des Stückes (D2), werden die beiden Bläser zu den Melodieträgern. 3 goldmund 28 Moments till spring partiturpng

Das Saxophon übernimmt die Melodie, welche normalerweise die Gitarre spielt, während die Gitarre eine zweite Stimme dazu spielt. Gitarre und Saxophon deuten das 7/4-Raster an. Die Trompete hingegen bietet eine kontrapunktische Stimme dazu, die den Achtel-Gruppierungen, welche Schlagzeug und Kontrabass spielen, folgt.

Indignation

Die Komposition Indignation hat essentiell zwei Themen: das Pseudo-Accelerando (E), welches das Hineinsteigern in eine Sache darstellt, indem es, trotz eines unveränderten, ruhigen Pulses, immer furioser, lauter und scheinbar schneller wird; und die Unisono Linie (F), welche die unzensiert formulierte Vertonung meines Ärgernisses ist.

Das Konzept hinter dem Pseudo-Accelerando ist folgendes: es gibt eine simple Basslinie, die im immer gleichen Rhythmus chromatisch aufsteigt. Dieser 7/4 Rhythmus besteht aus zwei Viertelnoten und zwei punktierten Achtelnoten. Zahlenpaare aus der Fibonacci- und der verwandten Lucas-Zahlenreihe werden in verdichtender Anordnung als Überlagerungen über die Sequenz 2+2+3/4 über die Bassfigur gesetzt. Die Zahlenpaare sind (3:2)+(5:3), 4+6, (5:4)+(8:6), 6+9, (7:4)+(11:6) und 8+12. Der Effekt ist ein stetiges Schnellerwerden bei jedem Subdivisions-Wechsel.1 indignation 28 Moments till spring partiturpng

Die harmonische Grundlage für das Stück, ist eine Zwölftonreihe. Im Pseudo-Accelerando-Teil kommt die gesamte Reihe in jedem Takt vor. Ich habe die Zwölftontechnik hier insofern erweitert, als dass ich die Reihe in zwei Tongruppen (1-6 und 7-12) gegliedert habe, in welchen die Töne beliebig gereiht werden können. Da die chromatisch aufsteigende Basslinie in jedem Takt vier Töne hat, ist der erste Ton jedes Taktes eine große Terz höher, als der des vorherigen. Deswegen habe ich auch die Zwölftonreihe jeweils um eine große Terz transponiert. Die chromatisch aufsteigende Basslinie, die in Terzen modulierende Zwölftonreihe und die stetige rhythmische Verdichtung sorgen für ein dramaturgisches Crescendo, bei dem die Spannung niemals unterbrochen wird.

Der Übergang zum nächsten Teil geschieht, indem die Tongruppen der Reihe in punktierten halben Noten als Akkorde erklingen, welche das neue rhythmische Raster 7+7+7+7 / 16 andeuten und ebenfalls in großen Terzen modulieren.

Im zweiten Teil des Stücks (F), wird die Zwölftonreihe als Tonmaterial für die Melodie verwendet. In dieser ist die Reihe nicht wie im Pseudo-Accelerando in zwei Tongruppen geteilt, sondern hat eine fixe Noten-Reihenfolge. Die Basslinie basiert weiterhin auf der chromatischen Skala. indig TSax  -28 Momentspng

Die Akkordfolge der Soloform lässt sich ebenfalls aus der harmonisierten Tongruppen-Reihe ableiten. In dieser kommt die Reihe viermal vor: zweimal in ihrer Grundstellung und die nächsten beiden Male jeweils um eine große Terz transponiert. Zu beachten ist auch die Schlagzeug-Legende:

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Exploration

Während das Verhältnis zwischen Komposition und Improvisation in den anderen Stücken immer zugunsten der Komposition liegt, sollte in Exploration der Fokus auf Improvisation gerichtet sein. Längere, improvisierte Teile sollten durch kurze Unisono-Passagen gegliedert werden. Diese bedienen sich großteils der Motive und Melodien aus dem ersten und dritten Satz. Ein neues Motiv wird vorgestellt, welches die 28/16 in 9+4+5+5+5 / 16 gliedert. explor 28 Moments till spring partiturpng

Im letzten Teil des Satzes wird das Ende der Jazz-Suite vorweggenommen in einem anspruchsvollen Sologitarren-Arrangement, welches durch dezentes Schlagzeug untermalt wird. sologit exlorE-Gitarre  -28 Momentspng

Im ersten und dritten Satz hat das Piano eine sehr dominante Rolle. Das Schlagzeug hat in allen drei Sätzen ein sehr solistisches, präsentes Auftreten. Aus diesem Grunde rücken in Exploration beide in den Hintergrund. Der vierte Satz ist also ein improvisationslastiges Potpourri, das den nötigen Kontrast auf der Metaebene schafft.

Until We Finally Part

Der fünfte und letzte Satz der Suite ist der anspruchsvollste und längste. Das beinahe komplett ausnotierte, zwölfminütige Stück beschreibt die schmerzliche Phase der Abfindung, durchzogen von Enttäuschung und Verärgerung, umrahmt von Trauer.

Es beginnt mit einem Solo-Schlagzeugrhythmus der in 3+4 / 4 notiert ist, jedoch 3/4 + 3/3 suggeriert.

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Die Bassnoten im Klavier am Anfang des Stückes, sowie das folgende Trompetenthema bedient sich der Zwölftonreihe aus dem ersten Satz.until h Trompete  -28 Momentspng

Ich belegte jedes funktionsharmonischen Intervall mit einem Begriff oder einem Gefühl. Ich sang das Thema vor mich hin und versuchte bei jeder liegenden Note auszumachen, was sie für mich ausdrückte. Zum Beispiel war für mich die große Sekunde „Gefasstheit“. Deshalb hat das f# in der Melodie am Anfang des H-Teils ein E als Bassnote: es sollte gefasst wirken. Die nächste liegende Note, das f, sollte verärgert klingen. „Verärgert“ hatte ich der kleinen Terz zugeordnet, weshalb die Bassnote ein D ist. Um die harmonischen Klangfarben etwas zu konkretisieren, schrieb ich eine kontrapunktische Klarinettenstimme. Zur Steigerung verwendete ich die Gitarre und die rechte Hand des Pianos. Viele der folgenden Teile sind beinahe gänzlich aus der Zwölftonreihe des ersten Satzes konstruiert. Ein gutes Beispiel dafür, ist der Anfang des J-Teils. Hier findet sich in allen Stimmen konsequent die Reihe.

Das Piano Solo ist im 9+4+4+4 / 12 Takt notiert. Die Akkordfolge des Pianosolos ist folgendermaßen konstruiert: Fünf chromatische absteigende Dur-Dreiklänge (A bis F), gefolgt von sieben chromatisch aufsteigenden übermäßigen-Dreiklängen (G+ bis C#+). Diese werden mit Bassnoten unterlegt, welche sich ebenfalls aus der Zwölftonreihe des ersten Satzes ableiten. Um das Schema nicht zu offensichtlich zu machen, begann ich die Akkordfolge mit dem vorletzten übermäßigen Akkord. Die Zwölftonreihe lautet: A, F#, D, A#, B, F, Db, G, G#, E, D# und C. Daraus ergibt sich: C+/A, C#+/F#, A/D, G#/A#, G/B, Gb/F, F/Db, G+, G#+, A+/E, A#+/D# und B+/C. Notiert sind die Akkorde jedoch funktionsharmonisch (also C+/A = Am Maj7 etc.).

Im K-Teil werden die Themen des ersten, zweiten und dritten Satzes umringt von verträumten Lydisch add b9-Flächen rezitiert. Hier beginnt für mich die emotionale Aufarbeitung. Per Zuspielung wird eine sogenannte Flashback-Collage eingefügt, die von der Band untermalt wird -anfangs mit einem Trommel-Groove in E-Lokrisch, allmählich die Tonalität und den Puls aufbrechend. Diese Collage beinhaltet Teile aus allen Sätzen außer Exploration, da dieser selbst eine art Collage ist. Die Aufnahmen wurden zum Teil rückwärts abgespielt, verlangsamt oder beschleunigt und im Stereopanorama wild hin und her geworfen.Until Inatallertionpng Alles spitzt sich zu einem dichten Finale zu, welches an seinem Höhepunkt vom bisher epischsten, dichtesten und lautesten Teil des Werks (L) abgelöst wird. In den letzten vier Takten klingt die Jazz-Suite mit dem Trommelrhythmus vom Anfang des fünften Satzes gelassen und ruhig aus.

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